Ich, ich und ich:
Narzisst:innen in Beziehungen
(Ein erster Einblick)

NarzisstInnen in Beziehungen: Abwertung, Lügen, Manipulation, Betrug, Schuldumkehr, Gaslighting. Narzissmus verstehen.

Zwischenmenschliche Beziehungen an sich können schon sehr kompliziert sein. Solche mit Menschen mit sehr hohen narzisstischen Strukturen können allerdings noch sehr viel komplexer sein. Und gerade in Paarbeziehungen zeigen sich diese Herausforderungen und die ungesunden Dynamiken besonders.

Der Begriff „Narzissmus“ wird seit längerer Zeit ziemlich inflationär verwendet. Er schwirrt durch alle Gesellschaftsschichten und durch die sozialen Medien sowieso.


Narzisstische Züge in einem gewissen Ausmaß besitzen wir alle, und das ist gut so (man spricht von „gesundem Narzissmus“). Doch dann gibt es auch die Menschen, die narzisstische Züge in einem sehr hohen Ausmaß aufweisen. Und da wird es dann schwierig: Der Umgang mit diesen Menschen kann kompliziert, anstrengend, ja richtiggehend kräfteraubend oder sogar gefährlich für die Psyche sein und auch den Körper in Mitleidenschaft ziehen.


Irgendwann habe ich mal irgendwo so etwas gelesen wie:
Narzisst:innen hängt das letzte Stück Wurst noch aus dem Mund und sie behaupten trotzdem, dass sie sie nicht gegessen haben.

Ich finde das unglaublich treffend. Es hört sich fast amüsant an. Aus einer Distanz. Als Außenstehende:r. Aber jetzt stellen Sie sich vor, Sie teilen Tisch und Bett mit diesem Menschen, dem das letzte Stück Wurst noch aus dem Mund hängt, der sie aber gaaaanz sicher nicht gegessen hat. Das ist dann absolut nicht mehr amüsant.

Unerwartete und unschöne Wendungen
Überspringen wir mal das wahrscheinlich unglaublich schöne Kennenlernen, denn vermutlich hat man es mit einem irgendwie faszinierenden, charismatischen Menschen zu tun. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man glaubt, noch nie im Leben so verliebt gewesen zu sein. 

Gehen wir mal direkt dort hin, wo das Ganze unerwartete und unschöne Wendungen und Dynamiken annimmt, was unter Umständen für Partner:innen oft sehr lange nicht wirklich zu verstehen und zu durchblicken ist (Stichwort: Traumabonding).

Das idealisierte Selbstbild schützen

Hat man Narzisst:innen durchschaut und ist in der Lage ihr Tun aus einer gewissen Distanz zu betrachten, wirkt es manchmal schon fast bizarr, was sie veranstalten, um ihr idealisiertes Selbstbild zu schützen. Denn dieses muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Und dazu sind viele Mittel recht: Manipulation, Kontrolle, Schuldumkehr, Projektion, Abwertung, Kritik, … Für Narzisst:innen geht es hier quasi ums Überleben. 


Beispiel: Apfelstrudel essen mit Narzisst:innen
Sie können mit Narzisst:innen einen Apfelstrudel essen, während sie Ihnen einen laaangen Monolog darüber halten, warum sie niemals nie etwas mit Äpfeln essen. Erlauben Sie sich dann doch eine kleine Anmerkung darüber, was sie denn da gerade auf der Gabel haben, dann...

Ja, dann sind Sie fix im Endeffekt die/der Schuldige. Während sich der/die Narzisst:in die Gabel mit Apfelstrudel in den Mund steckt und sauer ist, weil er/sie es mit so jemand inkompetenten und komplizierten wie Ihnen zu tun hat. Denn … Sie haben gestern statt Birnen Äpfel gekauft, alles Ihre Schuld, denn Birnenstrudel würde er/sie essen. Sie sind ohnehin wie ein Kleinkind, jetzt haben Sie sich mit dem Strudel auch noch angekleckert. Sie sind undankbar, denn er/sie isst den Strudel nur für Sie, er schmeckt ihm/ihr eh nicht, aber der Apfelstrudel von Ex-Freund:in Alex, ja, der war ein Traum. Oder: Er/Sie isst ihn gar nicht, sondern kostet ihn nur. Oder: Sie sind einfach immer zu ernst und machen ständig Drama, ist doch nur Strudel! Oder vielleicht sogar: Das ist gar kein Apfel- sondern ein Quittenstrudel. Sie täuschen sich da!

Alles und noch viel mehr ist möglich. Willkommen in der Welt des Narzissmus!

In einer Welt, in der Sie dann verwirrt zurück bleiben, sich fragen, was SIE schon wieder Falsches oder gar Freches gesagt oder getan haben, ob SIE sich vielleicht falsch erinnern, ob vielleicht alles in Wirklichkeit ganz anders war, ob mit IHREM Geschmackssinn oder gleich mit IHNEN als Ganzes etwas nicht stimmt. Eventuell werden Sie zukünftig vermeiden, solche Anmerkungen zu machen. Oder Sie stellen sich irgendwann sogar die Frage, ob SIE hier die/der Narzisst:in sind. 

Welches Verhalten kann sich (in Partnerschaften) zeigen?

Narzisst:innen tendieren dazu, ihre eigenen Bedürfnisse über jene der Partner:innen zu stellen (eventuell „verkaufen“ sie es aber anders), denn sie halten sich für überlegen. Außerdem fällt es ihnen meist schwer, sich in andere hineinzuversetzen. Verständnis ist nur bedingt möglich. Empathie – vorsichtig ausgedrückt - zählt nicht zu ihren Stärken. Diese Menschen mit dem sehr großen, aufgeblasenen Ego kreisen um sich selbst.


All das führt dazu, dass sie häufig rücksichtslos, egoistisch, ja egozentrisch daher kommen. Die eigenen Interessen wollen durchgesetzt werden. Da sind sehr viele Mittel recht, es wird manipuliert, verheimlicht, gelogen, mit Halbwahrheiten gearbeitet, betrogen, emotional erpresst usw.


Doch die Narzisst:innen selbst gestehen kaum Fehler oder Schwächen ein. Entschuldigungen (daher) Fehlanzeige. Außer, sie möchten damit etwas erreichen, wie z.B. ihre Partner:innen wieder ins Boot zu holen. Dann werden Entschuldigungen und angebliche Einsichten als Strategie eingesetzt. Ernstzunehmende Veränderungen sind daher nicht zu erwarten.

Was wohl fast alle Partner:innen von Narzisst:innen kennen, sind Abwertungen, Beleidigungen, Verletzungen. Manchmal kommen sie sehr subtil daher und werden daher anfangs - oder sogar lange - gar nicht bemerkt oder als Art „Spaß“ etikettiert. Indem sie ihre Gegenüber auf diese Weise klein machen, erhöhen sie sich selbst.

Sie sind wahre Meister:innen darin, IHRE Grenzen aufzuweichen und zu verschieben. Natürlich zu ihren Gunsten und zu Ihren Ungunsten. Sie schauen, wie weit sie gehen können - und peu à peu erweitern sie Ihre Grenzen. Dabei hilft ihnen der Gewöhnungseffekt (schrittweise Steigerung der „Dosis“): Das macht es möglich, dass Sie dann irgendwann Dinge tun, hinnehmen, ertragen, die früher eventuell überhaupt gar nicht denkbar waren. 

Narzisst:innen reden häufig viel und besonders viel über sich. Gespräche drehen sich zu einem großen Teil um sie selbst, ihren Beruf, ihre Großartigkeit, ihre Einzigartigkeit. Die/Der Andere spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Zu schreiben, dass sie selbst im Mittelpunkt stehen wollen, kann zu wenig sein. Sie gehen davon aus, dass der Mittelpunkt jener Platz ist, der ihnen selbstverständlich zusteht. 


Ein spezielles Kapitel ist auch „Kritik“. Sie selbst sind mit einer mangelnden Kritikfähigkeit ausgestattet, sparen bei anderen aber nicht mit Kritik. Riecht es für Narzisst:innen nur nach einem leichten Kritik-Hauch oder einer möglichen Fehlerzuschreibung, laufen sie zur Hochform auf.
Ihre Reaktionen können vielfältig sein: Aggressive, verbale Angriffe inkl. Abwertungen, Schuldumkehr, Opferrolle einnehmen, Rache, vorübergehender Rückzug und Schweigebehandlung, … Wie oben beschrieben, muss das überhöhte Selbstbild um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Denn dahinter verbergen sich häufig eine fragile Innenwelt und eine große Leere.


„Schuld“ wird überhaupt ganz oft auf das Gegenüber oder andere abgewälzt. Die Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen Narzisst:innen nicht wirklich: Sie bauen Mist. Aber so schnell können Sie gar nicht schauen, sind Sie selbst letztendlich die/der Schuldige. Denn ihr Bild muss makellos gehalten werden.


Ein Beispiel
Sie haben sich um 14 Uhr mit dem/der Narzisst:in in einem Lokal verabredet. Er/Sie kommt aber nicht und meldet sich auch nicht. Sie beschließen um 15 Uhr nicht mehr länger zu warten und verlassen das Lokal.
Wenig später erscheint der/die Narzisst:in doch noch. Und wer ist nicht da? Sie! Und was ist nun das Problem? Natürlich, dass Sie nicht länger gewartet haben!
Sollten Sie - denn Sie sind jetzt wahrscheinlich auch sauer - erwähnen, dass die Ursache für Ihr Gehen in der enormen Verspätung des Gegenübers lag, dann können Sie damit rechnen, dass er/sie eine Geschichte parat hat, in der er/sie das Opfer ist. Oder Ihre Erwähnung wird einfach übergangen und Sie als zu unentspannt, zu verständnislos und als Dramaqueen oder -king hingestellt. Und dass es - das versteht sich doch von selbst - unerhört bist dreist ist, einfach das Lokal zu verlassen. Wahrscheinlich werden in schneller Folge etliche Angriffe auf Sie gefeuert werden, gerne auch inklusive Eröffnung von Nebenschauplätzen.

Letztendlich schwirrt Ihnen der Kopf. Sie wissen vielleicht gar nicht mehr, worum es eigentlich wirklich geht bzw. ging. Und Sie sind verunsichert, denn vielleicht ist das wirklich nicht tragisch und Sie haben überreagiert? Vielleicht fragen Sie sich, wo SIE hier den Fehler gemacht haben? Eventuell entschuldigen Sie sich auch noch bei ihm/ihr dafür, dass SIE nicht länger als 1 Stunde gewartet haben?

Für jede:n, die/der das von außen betrachtet, ist es klar. Da gibt es maximal die Frage, warum man überhaupt sooo lange gewartet hat. Steckt man hier allerdings drinnen, ist eingesponnen im Spinnennetz, dann ist nichts mehr klar.


Welche Beziehungen führen Narzisst:innen?
Die Beziehungen von Narzisst:innen sind häufig instabil und konfliktgeladen. Nicht selten kommt es zu Seitensprüngen und Affären. Aufrichtige emotionale Bindungen sind schwer möglich, denn emotional sind sie nicht wirklich zugänglich.


Es kann sein, dass sie eher kurze Beziehungen haben und die Partner:innen häufig wechseln. Es gibt aber auch Narzisst:innen, die sehr lange Beziehungen (eventuell inklusive geheimer Nebenschauplätze) führen.

Nicht ungerne suchen sie sich Partner:innen, die ihnen in irgendeiner Art nützlich sind: Besonders gut aussehend, finanziell bestens aufgestellt, aus einer angesehenen Familie kommend, einen gewissen Status mitbringend, …


Ein Charakteristikum ist ebenfalls, dass diese Partnerschaften sehr intensiv sein können:
Es geht hoch hinauf, aber auch tief hinunter. Und das immer und immer wieder. Und oft in sehr schnellem Tempo. Dadurch kann letztendlich recht schnell eine Art Abhängigkeit entstehen, wie bei einer Sucht. Und das kann das Verlassen solcher schädlichen Beziehungen für die Partner:innen sehr schwer bis gefühlt unmöglich machen.

Narzisst:innen sind nicht wirklich in der Lage Beziehungen auf Augenhöhe zu führen. Denn es geht ihnen um Macht und Kontrolle, es geht ihnen darum, die eigenen Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen und zu befriedigen (auch, wenn sie damit anderen schaden). Das sehen sie quasi als ihr Geburtsrecht an.


Stabile, gesunde und erfüllende Beziehungen sind mit Narzisst:innen daher nicht möglich. Das heißt aber nicht, dass eine Beziehung mit einem/einer Narzisst:in unmöglich ist. Es ist aber immer die Frage, welchen Preis das Gegenüber dafür bezahlt. Und dieser kann bei einer solchen Beziehung sehr hoch sein und sogar die psychische und physische Gesundheit kosten.


Bei mir gibt's nun auch immer mal wieder den Workshop "Toxische Beziehungen". HIER erfahren Sie mehr dazu.

Sabine Schiefer
21.03.2024